DER LANDBOTE • DIENSTAG, 13. MÄRZ 2001
«EXERCICES DE STYLE»
Spontan und unkonventionell
In Anlehnung an das Buch «Exercices
de Style» des Schriftstellers Raymond Queneau lancierte das Swiss
Improvisers Orchestra am Samstag unter der Leitung von Christoph Baumann
sein drittes Projekt.
von TERESA KRUKOWSKI
Das Treppenhaus im Oskar-Reinhart-Museum füllt sich mit Publikum.
Auf dem grossen Treppenhausabsatz steht reglos eine Gestalt in Schwarz,
angelehnt an einen Kontrabass, allmählich steigen die anderen elf
Akteure des Spektakels die Treppen hinauf und gruppieren sich auf den
Stühlen in erstarrter Haltung um die schwarze Gestalt herum. Plötzlich
setzt eine kleine Trommel mit ein paar Schlägen ein. Eine kurze
Gruppenimprovisation folgt. Sie wird durch Soloauftritte, gesprochene
Texte oder einzelne Laute unterbrochen. Es folgen weitere Gruppenimprovisationen.
Die Solisten bleiben fast die ganze Zeit in Bewegung.
Den Ausgangspunkt für das Geschehen
bilden ausgewählte Texte aus der Sammlung von Raymond Queneau «Exercices
de Style», die 100 kurze Essays umfassen. Und so wie der Text
aus unzähligen Varianten derselben Geschichte besteht - die in
einer Strassenbahn spielt - so vermitteln auch die musikalischen Szenen
den Eindruck wiederkehrender Situationen. Das Agieren basiert nicht
in erster Linie auf dem Phänomen des Nichtalltäglichen, sondern
es beruht auf Emotionen und vitaler Energie. Die Darbietung wird in
keinem Moment zu einem Werk im üblichen Sinne, und zwar weil die
rohe «Musikmasse» von jedem der Protagonisten auf seine
Weise als Improvisation geformt wird.
Das Endergebnis ist daher sehr persönlich und an keine Konventionen
gebunden. Die Musiker packen die Tonmasse, verdrehen sie, verändern
ihre Gestalt, dynamisieren sie und bereichern sie mit Gestik. Manchmal
geben sie der Musik einen humoristischen Anstrich. Zum Beispiel wenn
die Kontrabassistin mit dem Bogen heftig herumfuchtelt oder wenn der
Cellist seine Hände verwirft wie ein schlechter Dirigent oder wenn
der Klarinettist mehrere Musikinstrumente mit Messband ausmisst. Daraus
resultiert eine Art Spiel, an dem nicht nur Musiker und die Sprecherin,
sondern auch das Publikum teilnimmt. Die lockere Atmosphäre, oder
das Lachen der Zuhörer sind natürliche Ergänzungen dieses
Stückes. Das Geschehen baut auf Spontanität und so erreicht
die musikalische Darbietung teilweise ein höheres Niveau als manche
niedergeschriebene Komposition.
Musikalisches Kollektiv
Swiss Improvisers Orchestra wurde im Herbst 1998 in Boswil gegründet
und ist ein musikalisches Kollektiv von improvisierenden Musikern aus
der ganzen Schweiz. Die Gruppe besteht aus zwölf grossartigen Solisten:
Eveline Ulmer (Stimme).
Das Orchester entwickelt seit seinen Anfängen progressive und experimentelle
Konzepte. In diesen Projekten werden musikalische Aspekte mit anderen
künstlerischen Ausdrucksformen (Film, Tanz und Theater) verbunden.
Auf diese Weise wurde der visuelle Faktor aufs Neue entdeckt. Die Stärke
der Gruppe ist nicht ihr gutes theatralisches Spielen, sondern vor allem
die Musikimprovisation. Aus kleinen, scheinbar unzusammenhängenden
Bruchstücken entsteht trotzdem ein Ganzes. Das Orchester vermeidet
die reine Tonthematik und versucht der Musik dank den visuellen Mitteln
ein neues Gesicht zu verpassen.
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